@fleurdelis*: Ich finde, du machst es dir da ein wenig zu einfach.
@Inge21 hat nicht geschrieben, dass sie die Verantwortung für die Therapie eines allfälligen Partners übernehmen würde. Aber es ist doch auch eine Realität, dass man als Angehöriger viel stärker involviert ist als eine Therapeutin. Wenn man einen Menschen liebt, dann kann man die Sorge, die Angst und das Gefühl, helfen zu müssen/wollen, sowie die Überforderung damit nicht einfach so leicht wegschieben, wie wenn man als Professioneller in der Therapeuten- oder Arzt-Rolle ist. Eine Therapeutin sieht ihren Patienten in der Regel nicht öfter als eine Stunde pro Woche. Das ist bezüglich ihrer Belastung (verglichen mit Angehörigen) nichts.
Leider ist es eine Tatsache, dass die Psychiatrie oft nicht helfen kann oder jedenfalls nicht so hilft, dass es sich im Erleben der Betroffenen eindeutig positiv anfühlt. Die Rahmenbedingungen einer psychiatrischen Klinik und die Abläufe und Strukturen, die da oft herrschen, sind bei Weitem nicht optimal. Oft erleben Betroffene da gar (Re-)Traumatisierungen. Nicht nur, aber leider oft auch. Dazu kommt, dass man ihnen während des Aufenthaltes oft sehr viel Medikamente gibt, z.B. Beruhigungsmittel, die - wenn man sie längerfristig nimmt - abhängig machen. Und das im Moment, wo sich die drückenden Probleme vielleicht, da man sie zu Hause gelassen hat, mit der Zeit etwas in den Hintergrund rücken lassen. Dann, wenn die Patienten einigermassen stabil sind, schickt man sie rasch nach Hause, wo sie wieder mit dem schwierigen Alltag konfrontiert sind, nun wieder weniger oder keine Benzos nehmen sollten und vielleicht nur noch ein Therapiegespräch pro Woche haben. Die Psychiatrieprofis meinen dann, sie hätten gut geholfen, wenn sie die Patienten rasch (scheinbar) stabilisiert haben. Doch die Thematik, die Probleme macht, ist leider sehr oft noch lange nicht bewältigt. Die Angehörigen dagegen, bleiben involviert und belastet.
Dazu kommt, dass die Psychiatrieprofis oft nicht wirklich verstehen (und sich manchmal nicht einmal dafür interessieren!), was denn genau in den Patienten abläuft. Das tiefe persönliche Erleben können sich Psychiater oft gar nicht vorstellen, sie sehen stattdessen nur den Ausdruck des Leidens als Symptome gegen Aussen. Dann kommen auch so seltsame Aussagen zu Stande, dass Menschen, die total verzweifelt sind und ja diese Realität nur selbst so spüren und erleben, objektiv nicht so grosse Probleme hätten, wie sie denken würden und deshalb eigentlich nicht mehr zurechnungsfähig seien. Ich finde das arrogant und wirklich überdenkenswert! Wenn die innere Not eines Menschen riesig ist und er in langer Leidensgeschichte die Erfahrung gemacht hat, dass ihm die Psychiatrie nicht helfen konnte, dann zu sagen, dass es ein Fehlschluss sei, Suizid zu begehen, weil man in einem solchen Zustand nicht mehr fähig sei, eine realistische Einschätzung der Situation zu tätigen, ist absurd. Ich habe es schon erlebt, dass Psychiater selbst ihre Patienten eigentlich aufgegeben hatten und keine Hoffnung für sie mehr sahen - sich also auch nicht mehr wirklich engagierten - und gleichzeitig verweigerten, mit dem Patienten über einen assistierten Suizid nachzudenken. Wenn sie sie wenigstens aktiv bei der Suche nach einem anderen Therapeuten unterstützt hätten!
Dem steht natürlich die Erfahrung entgegen, dass es bei vielen Patienten irgendwann auch wieder besser wird und dass dann im Nachhinein klar ist, dass ein Suizid verhindert hätte, dass es doch irgenwann zu einem Auftauchen aus der Verzweiflung hätte kommen können. Aber wie das im Einzelfall ausgesehen hätte, das kann man sich doch nicht anmassen, zu beurteilen! Manchmal haben Menschen einfach gar keine Kraft mehr.
Dann kommt da noch dazu, dass Betroffene oft die Erfahrung machen, dass ihr Umfeld und manchmal gar Mitpatienten ihnen weit mehr helfen als die Profis. Da erscheint es mir schon ein bisschen seltsam, wenn man als Allerheilmittel Therapie und Psychiatrie empfiehlt. Auch empfinde ich es ein Stück weit als Abschieben von traurigen und verzweifelten Menschen, die Anteilnahme, Gesprächspartner und Verständnis suchen, wenn man sie bloss an Psychologen und Psychiaterinnen verweist. Erstens helfen die nicht immer wirklich, und zweitens sicher nicht genug. Da braucht es noch andere Menschen. (Das sage ich im Wissen darum, dass es sehr viele wirklich engagierte und einfühlsame Fachleute gibt, die ihr Bestes geben und sehr oft auch tolle und wirksame Arbeit leisten!) Es ist ein Zeichen einer überforderten und lieblosen Gesellschaft, wenn man alles Schwere ausgrenzt und tabuisiert und sich nicht zumuten will, sich damit zu beschäftigen.