Zunächst einmal für Dich: Norman.
Aus Deiner Beschreibung erfüllst Du sämtliche Kriterien für einen typischen Nice Guy. Falls das zutreffen sollte: Willkommen im Club!
Das ist ein Verhaltensmuster, welches in der Kindheit (typischerweise zwischen der Geburt und dem fünften Lebensjahr) erworben wird. An dieser These ist leider eine ganze Menge dran.
Dazu kann ich ein gutes Einsteigerbuch empfehlen: "Nie mehr Mr. Nice Guy", von Robert A. Glover. Auch für Partner geeignet, die nicht verstehen, warum ihr Partner auf Stress mit Freundlichkeit oder noch mehr Fürsorge reagiert und damit regelrecht beengend wirkt.
Der Film "Die Wutprobe" (Jack Nicholson, Adam Sandler, 2003) streift am Rande dasselbe Thema.
Für alle:
Eine Kernthese des Buches lautet vereinfacht: Mr. Nice Guys haben ihre eigene Kindheit als so problematisch erlebt, dass sie darauf mit übertriebener Verhaltensanpassung reagierten, um subjektiv überleben zu können. D.h. in den ersten fünf Lebensjahren durften sie sich aus irgendeinem Grund nicht wie Kinder verhalten oder wurden nicht wie Kinder behandelt. Seien es Schläge gewesen, sich selbst überlassen zu werden, Vergewaltigung oder ähnliche Katastrophen. Der Schlüsselfaktor ist das "subjektiv". Je früher das passiert, desto tiefer ist das mit dem Unterbewußtsein verwurzelt (bei mir fing das genau mit der Geburt an und erweist sich momentan als bemerkenswert löschungsresistent; um nicht das Wort "hoffnungslos" zu gebrauchen).
Die Verhaltensanpassung ist der Hilflosigkeit geschuldet: Das Kleinkind sieht keine Möglichkeit, um seine Bedürfnisse befriedigt zu bekommen, als das eigene Verhalten den Vorgaben des Umfeldes anzupassen. Dadurch entsteht der Trugschluss, dass die Anpassung auf die Forderungen des Umfelds die grundlegende Bedingung dafür sein muss, dass man als Wesen angenommen bzw. auf die eigenen Bedürfnisse reagiert wird.
Diese Verfremdung des eigenen Verhaltens führt jedoch zum Bruch mit den eigenen Wünschen. Jeder Mensch hat von Geburt an eine mehr oder weniger klare Vorstellung davon, wer sie/er eigentlich ist oder sein möchte. Diese hängt direkt mit den Wünschen und Bedürfnissen zusammen.
Dieser Bruch führt also folgerichtig durch Selbstablehnung zu Frustration und diese Frustration führt wiederum zu gewalttätigen Reaktionen auf Stress (hauptsächlich während des Erwachsenwerdens). Nur ein kleiner Teil der Betroffenen bleibt dann auch gewalttätig. Die meisten werden noch vorsichtiger und passen ihr Verhalten noch mehr den fremden Erwartungen an: Sie werden also noch umsichtiger, komplexer, hilfsbereiter und -- distanzierter, unverbindlicher und einsamer. Nicht zu vergessen: Frustrierter und dementsprechend weniger bereit, sich wirklich auf andere Menschen einzulassen bzw. sich ihnen hinzugeben. Kurz: Mr. Nice Guy. Immer freundlich, niemals schlecht gelaunt und immer hilfsbereit. Eine Person ohne Konturen und dementsprechend schwer greifbar.
Parship hätte eigentlich das Potenzial da eine Brücke zu schlagen. Durch den durchlaufenen Test gibt es genügend valides Material für sehr treffende Vorschläge. Eigentlich kann man mit allen Kandidaten ein paar Nachrichten austauschen, die eine Übereinstimmung von 90 oder mehr in der Vorschlagsliste haben. Wahrscheinlich sind schon weit niedrigere Punktzahlen ein Indikator dafür, dass es Gemeinsamkeiten gibt. Liebe auf den ersten Blick wird so gut wie nie dabei sein, aber speziell bei mir wurden immer recht ausgleichende Persönlichkeitsprofile vorgeschlagen bzw. Frauen, die im persönlichen Umgang durchaus interessant sein könnten.
Aus meiner Sicht sind die meisten Beteiligten hier zusehr auf Flirtplattform konditioniert, weshalb diese Chance nicht als Solche wahrgenommen wird.
Was mich jedoch am meisten verblüffte: Durch mein Umfeld (ich habe jeden Tag mit mindestens elf Frauen verschiedener Altersgruppen zu tun; ja es sind immer dieselben, mit denen ich im Alltag Probleme löse und auch teilweise meine Freizeit verbringe) weiß ich, dass Aussehen allgemein für Frauen eher eine untergeordnete Rolle spielt. Wichtiger sind Charme, Aufmerksamkeit, Spontaneität, Kreativität, "Farbe bekennen können", Gemeinsamkeiten und allen voran: "vermittelt Sicherheit!". Einfühlsamkeit und Anpassungsfähigkeit sind "nice to haves" aber eben keine so wichtige Bedingung, dass eine gestandene Frau da ablehnend reagieren würde.
Angeberallüren legen die meisten Mädchen mit Mitte Zwanzig ab ("Was sagst Du zu meinem neuen Freund? *seufz* Ist er nicht süß? *kreisch*"). Genau dann, wenn nämlich ihre x-te Beziehung mit der y-ten Enttäuschung scheiterte, der doch "so gut aussah" und wo doch alles "so toll funktionierte". Aber anscheinend hat es seinen Grund, warum hier soviele Mittdreißiger "vergeblich" den Mann an ihrer Seite suchen und ihrerseits mit Frustration und Ablehnung reagieren. Möglicherweise hat auch ein großer Teil der Frauenwelt etwas verloren und noch nicht wiederbekommen.
Was mich daran halt überraschte ist der implizite Rollentausch: Im Allgemeinen wird Männern Oberflächlichkeit und Auswahlverfahren per Foto nachgesagt. Hier ist es offensichtlich genau anders herum: Alle, die ich bisher anschrieb, hatten nach der Freigabe meines Profilbildes kein Interesse mehr. Ein Foto entscheidet über "OK" oder "NO"? Ernsthaft? Oder anders gefragt: Was wird hier eigentlich gesucht? Ein Foto, das neben ihnen auf dem Kopfkissen liegt oder ein richtiger Partner mit allem drum und dran?
Und nochmal für Dich, Norman: Mache Dir bitte keinen Kopf. Du bist in Anbetracht der Umstände mit Sicherheit schwer in Ordnung. Wenn Du mit Dir selbst einverstanden bist, dann kommt die Selbstsicherheit. Hast Du die erreicht, dann kommt eine Beziehung von alleine. Du musst einfach nur lernen, Du selbst zu sein.
Fluffige Grüße
TIoBE -- The Importance of Being Earnest