Uh, hier findet ja ein spannender Diskurs statt.
Ich finde es wichtig in diesem Kontext klarzustellen, dass wir hier nicht von einer eindeutigen Täter-Opfer-Dynamik sprechen.
Glaube, im Grunde dreht sich darum die Diskussion.
Die Einen sehen die Person mit der Erkrankung als Opfer, die Anderen den gesunden Beziehungspartner.
Wir wäre es, wenn man von diesem Muster mal weggeht?
Ich glaube, dass Erkrankungen - egal, welcher Art - eine große Herausforderung für eine Partnerschaft darstellen können. Das hat auch eher wenig damit zu tun, ob die Beziehung noch frisch oder schon über viele Jahre geführt wird.
Es ist eine Ausnahme-, eine Extremsituation, die beide Beziehungspartner an ihre Grenzen führen kann.
Ich empfinde es als sehr problematisch und nicht zielführend, sobald die Erkrankung die gesamte Beziehung dominiert.
Wenn der gesunde Part seinen Partner ausschließlich im Kontext der Erkrankung sieht...dann wird die Beziehung wahrscheinlich nicht halten.
Natürlich ist es je nach Erkrankung eine enorme Einschränkung/Veränderung im Alltag und da den Tunnelblick rauszubekommen und seinen Partner nicht nur als krank zu begreifen - weil man ihn doch so vorwiegend erlebt - ist wirklich schwierig. Vielleicht auch nicht immer machbar. Aber ich glaube, daran kann es schon zerbrechen.
Denn der Erkrankte merkt das natürlich. Aber wer möchte schon wie ein rohes Ei behandelt werden? Selbst in der besten Absicht kann dies dazu führen, dass man sich keine Hilfe holen, es vielleicht alleine schaffen oder einfach verdrängen will.
Es sollte nicht vergessen werden, dass solch eine schwerwiegende Erkrankung jeden von uns treffen kann. Dann kann man sich ja mal versuchen, in die Situation hineinzuversetzen (ist bei manchen Störungsbildern sicherlich schwierig oder fast unmöglich), aber eben so gut es geht. Was würde man sich wünschen von seinem näheren Umfeld?
Ich würde mir einerseits Verständnis, Geduld und Zuspruch/Unterstützung wünschen. Andererseits wäre es mir genauso wichtig noch ich selbst zu sein. Normal behandelt zu werden, ohne Mitleid, ohne übertriebenes Gehabe um meine Abnormalität. Ich wäre selbst überfordert und unsicher, würde aber Hilfe nicht annehmen, wenn mein Gegenüber mich nicht für voll nehmen und von oben herab behandeln würde. Vielleicht hätte ich das Gefühl, dass mich ohnehin niemand (ohne Erkrankung) versteht und deswegen distanzieren. Mich würden auch Vergleiche mit meinem früheren, gesunden Ich niederschmettern. Wahrscheinlich würde ich mich schämen; wenn meine (hier vor allem psychische) Krankheit und Schwächen vor Bekannten offen angesprochen werden würde, würde ich mich vielleicht bloßgestellt oder gedemütigt fühlen. Eine Krankheit macht so viel mit einem selbst. Und je länger man in diesem Zustand verbleibt, desto schlimmer wird es; die Bahnen verfestigen sich..
Wenn der kranke Part selbst sich nur noch über die Erkrankung definiert, an einem "normalen" Alltag gar nicht mehr partizipieren und gleichzeitig keine Hilfe in Anspruch nehmen kann/will, tja, da kann man eigentlich nur verzweifeln. Aber das gilt für beide Seiten.
Ich finde es wichtig, dass man weder die erkrankte Person noch den gesunden Partner in eine Schublade steckt. Jeder Mensch ist anders, jede Beziehung hat eine ganz eigene Dynamik inne.
Man kann sich aber Hilfe suchen - und das gilt für alle Beteiligten.
Wer einen Angehörigen hat, der an xy erkrankt ist, der kann sich selbst beraten lassen. Manchmal reicht es schon, sich in einem passenden Forum oder Buch einzulesen; aber es gibt auch Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. Das nimmt im besten Fall Druck heraus, klärt auf, zeigt neue Perspektiven auf, vielleicht haben die anderen auch wertvolle praixsnahe Tipps - und man ist nicht mehr mit der Situation allein.
Gemeinsam ist man stärker; es kann auch helfen, mit einem guten (und vertrauenswürdigen) Freund mal offen und ehrlich zu sprechen und die eigene Hilfslosigkeit/Überforderung zuzulassen. Leider ist es ja noch immer recht tabuisiert, über psychische Erkrankungen zu sprechen.
Und ganz wichtig: Sich selbst Raum geben! Dinge tun, die einem selbst gut tun, auch Zeit ohne Partner und Verpflichtungen verbringen, auf die eigene Gesundheit achten! Und wenn man merkt, dass alles zu viel wird: Für sich selbst sorgen. An einem gewissen Punkt auszusteigen oder auf Distanz zu gehen, weil man sonst selbst krank wird, ist gut. Man muss die Verantwortung für sich selbst tragen; den anderen wird man nicht retten können, wenn er nicht irgendwann selbst bereit ist oder sich darauf einlässt, zu kämpfen.
In Beziehung zum Partner würde ich empfehlen: Wertschätzend und geduldig gegenüber dem Partner sein; ihn trotzdem noch als sein großes Glück zu sehen, welcher gerade einfach einen hohen Berg zu erklimmen hat; den Respekt nie verlieren und auf Augenhöhe bleiben - auch wenn das Verhältnis in der Praxis nicht immer so ausbalanciert ist. Beide sind erwachsene, mündige Wesen - daran ändert die Krankheit nichts, auch wenn es so wirken kann. Und nicht die Hoffnung verlieren, dass es nur eine Krise ist, die es zu überstehen gilt. Vertrauen in den Partner setzen, dass er diese Herausforderung meistern wird und das Potential dafür in sich trägt. Situationen schaffen und besonders genießen, in denen die Krankheit keine oder eine minimale Rolle spielt. Wenn der Partner es zulässt, gemeinsam an Themen arbeiten bzw. Unterstützung und Begleitung anbieten. So wertfrei wie möglich bleiben. Und nachfragen! Wichtig: Keine Schuldzuweisungen, das ist Gift - nicht nur in diesem Setting.
Es kann für beide entlastend wirken, wenn die kranke Person einfach mal frei äußern darf, was sie mit sich herum trägt. Und die gesunde Person kann nachfragen, was sie nicht genau versteht, vielleicht auch Input geben, wie sie sich vorstellen könnte damit umzugehen. Außerdem kann sie auch die eigene Überforderung/Hilfslosigkeit äußern. Man kann gegenseitig für einander da sein; sich beistehen und fühlt sich im besten Fall angenommen und verstanden. Wenn man es schafft, ein solches Wir-Gefühl neu zu begründen, sehe ich gute Chancen, die Krankheit als Krise zu überstehen und auch als Paar gestärkt aus dieser hervorzugehen.
Ich war schon selbst betroffen - auf beiden Seiten.
In meinem Text tauchen viele Ansprüche auf, die man zu erfüllen hat. Aber es spiegelt nur meine Erfahrung und Auseinandersetzung zu diesem Thema wider. Kann also helfen, muss es aber nicht.
Und ist übrigens nicht nur in Paarbeziehungen, sondern auch auf das familiäre Setting anwendbar.
Ich denke, wir alle kommen früher oder später mit schweren Erkrankungen in Berührung und halte es für wichtig, da eine eigene Haltung zu entwickeln bzw. sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.
Ich habe große Achtung für die Menschen, die sich über einen längeren Zeitraum um Angehörige kümmern und dafür mitunter zeitweise ihr eigenes Wohlbefinden und die eigenen Bedürfnisse unterordnen. Das ist eine unfassbare Leistung. Wer solch einen Menschen in seinem Umfeld hat, kann sich wahrlich glücklich schätzen.
Selbst, wenns am Ende nicht ausreichen sollte.
Allein, dass man es versucht hat, sein Bestes gegeben hat...da ziehe ich den Hut vor.