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Hallo Aidin,
eine Menge Fragen, ich würde empfehlen zunächst einmal in die vielen Artikel zu sehen die ich weiter oben gepostet habe bzw. TV-Filme in denen Polyamore aus ihrem Leben erzählen und wie sie das gestaltet. Dass kann ich hier gar nicht ein einem Posting zusammenfassen. Nur soviel, es geht! Auch Kinder und Familie sind selbstverständlich und auch das Funktioniert.
Zum nachdenken - viele leben "polyamore", nennen es nur nicht so und verheimlichen diese - sie gehen fremd und betrügen den Partner! Die Zahlen hierzu schwanken zwischen ca. 30-49% an "Fremdgängern", selbst wennn wir den pessimistischen Fall von 25% nehmen, ist das immer noch eine Menge.
So gut es hier in der Kürzte geht:
"Wie ist es mit Entscheidungen, die die Zukunft als Liebesgemeinschaft ( als Paar kann man das ja nicht bezeichnen ) betreffen z.B. Wohnsituation, Ortswechsel, Schwangerschaft."
Es gibt verschiedene Modelle. Einige sind verheiratet und haben "Nebenbeziehungen", dass wird dann als "Primary" and "Secondary" Konzept bezeichnet. Andere leben eher in einem Netzwerk gleichgestellter Beziehungen. Einige leben Haushaltstechnisch gesehen "singel" andere mit einer Person in einem Haushalt - also klassische ein Mann eine Frau mit oder ohne Kinder in einem Haus/Wohung, andere ein in einer Art Community, die man aber besser nicht mit den Kommunen aus den 68igern verwechseln sollte.
"Was passiert wenn einer der Partner sich trennt, was passiert, ..."
Nicht anderes als wie in jeder Trennung bei einer Partnerschaft....
"...wenn die Waage der Emotionen sich in eine Richtung neigt? "
Dann ensteht entweder ein verändertes "Primary"-"secondary" Verhältnis oder es wird eine andere Lösung gefunden. Emotionen ist man nicht hilflos ausgeliefert, sondern sie sind immer Produkt unserer Gedanken über die wir mit unser Willensfreiheit verfügen. Eifersucht ist auch bei Polys ein großes Thema, aber gerade darum geht es in Sachen persönlicher Reife. Polyamorie ist sicher nicht für jeden etwas, aber für gereifte Persönlichkeiten oder solche die bereit sind sich auf einen solchen Reifungsprozess einzulassen schon. Es braucht ein starktes Selbstwertgefühl - und dass ist nicht angeboren sondern immer anerzogen (je erwachsener ich werde desto mehr "erziehe" ich mich selbst / lerne ich eigenverantwortlich).
"Wenn dem so wäre, ist Polyamorie dann "natürlich" ?" Es gibt von biologischer Seite (ich bin von Haus aus Biologe) jede Menge gute Gründe anzunehmen, dass wir tendenziell polygam angelegt sind und die Monogamie eine kulturelle Erfindung ist, um Rivalität in größeren sozialen Gruppen zu Reglementieren. In archaischen Kulturen sind dieser kulturellen u. sozialen Erfindungen sicherlich sehr nützlich - aber im 21 Jahrhundert einer hochtechnisierten und hochzivilisierten Gesellschaft nicht mehr notwendig. Wir können z.B. das Kinderkriegen sehr gut kontrollieren und Verwandschaft lässt sich eindeutig bestimmen etc.. Wir können uns also recht frei entscheiden ob und mit wem wir Kinder kriegen - insbesondere im Verhältnis zu anderen oder historischen Kulturen.
"Ist Polyamorie ein Geisteszustand, bedingt durch Charakter oder Naturell, oder eine Entscheidung genährt aus Erfahrungen?"
Ich vermute (Hypothese) beides ist denkbar u. möglich! Als Biologe vermute ich, dass es eine polygame Veranlagung gibt, da dies evolutionär sinnvoll ist. Unsere Artverwanten scheiden hier allerdings zum Vergleiche aus ! Auch wenn das leider einige naive Seelen immer wieder gerne tun. Aber nahm wem sollten wir uns richten? Nach den in Monogamie lebenden Orangutans? Dem Silberrücken mit seinem Harem bei den Gorillas, nach den Schimpansen oder gar den Bonobos wo jeder mit jedem ständig - nur um soziale Spannungen abzubauen? Also, ein Vergleich ist hier nicht möglich und nicht sinnvoll, aber auch gar nicht notwendig - wir können durch rationale Entscheidungen einen eigenen Weg "konstruieren" - so wie wir auch andere soziale Phänomene konstruiert haben -z.B. die Monogamie, die Großfamilie vor 150 Jahren oder die typische "Kleinstadtfamilie" oder eben alleinerziehende oder sog. "Regenbogenfamilien". Wir sind phantasiebegabt und hoch technisiert - uns stehen viele Möglichkeiten offen u. etliche Mutige verwirklichen dies schon erfolgreich seit Jahrzehnten.
"Ist Polyamorie eine Konsequenzschwäche und sind alle beteilligten in der Lage das zu 100% zu leben, oder sind auch sie zu Schwach um auf das Monopol zu bestehen? "
Klingt nach Patologisierung. Angesichts der Komplexität einer Polybeziehung würde ich eher sagen, dass es viel mehr eine Form von persönlichkeitsstärke ist, wenn man das wirklich geregelt bekommt. Es ist viel einfacher Eifersüchtig zu werden/sein und das Objekt seiner Eifersucht argwöhnisch zu bewachen u. zu "schützen" als wäre es "Privateigentum" als meinem Partner die Freiheit zu lassen und ihm zu vertrauen, dass er sich an gemeinsame Regeln hält. Polyamorie bedeutet nicht die Abwesenheit von "Treue" sie ist lediglich anders definiert - z.B. als Loyalität. In guten wie in schlechten Tagen gilt daher in den verbindlichen u. auf Dauer angelegten Polybeziehungen genauso - nur eben gegenüber mehreren Menschen gleichzeitig - was ein mehr an Verantwortung bedeutet. Wer Polyamorie mit "freier Liebe" oder gar "Swingern" verwechselt, hat den Kern der Idee nicht erfasst, denn davon wollen sich die meisten Polys ganz bewusst unterscheiden, wenngleich man davon ausgehen kann, dass es hier im individuellen Einzelfall fließende Übergänge geben kann.... aber das steht nicht im Vordergrund für die "klassischen" Polys.