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"Das Schicksal der Welt liegt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch immer in den Händen weißer Männer. Die Mehrheit der Staatschefs einflussreicher Länder, das Führungspersonal der mächtigsten Unternehmen und der reichen, international agierenden Stiftungen – alles weiße Männer. Rein statistisch gesehen sind weiße Männer also, was Macht und Sichtbarkeit angeht, privilegiert und völlig überrepräsentiert.
Viele weiße Männer schämen sich, Teil dieser Gruppe zu sein, haben Schuldgefühle. Einige suchen Erlösung darin, sich selbst eine neue Identität zuzuschreiben. Indem
sie sich etwa Feministen nennen. Oder indem sie bis zur Erschöpfung versuchen, ihren Status als weißer Mann zu kompensieren und neben einer klassischen beruflichen Karriere auch noch ein perfekter Vater und Partner sein wollen – um dann an ihren Ansprüchen zu scheitern. Ich kenne einige solcher jungen Väter. Aber wie kann man diese inneren Konflikte sonst auflösen?
Es mag hart klingen, aber steckt hinter der Vorstellung, als Mann durch sein Verhalten ein derart großes, strukturelles Unrecht wie das der jahrtausendelangen Vorherrschaft des eigenen Geschlechts ausgleichen zu wollen, nicht auch wieder die gleiche weiße, männliche Hybris, auch wenn sie als Selbstanklage daherkommt? Zumal die Motive noch nicht einmal alle so hehr sind. Oft geht es ja nur darum, nicht
als einer dieser "alten, weißen Männer" abgestempelt zu werden, die zu verachten in manchen Kreisen, in denen man so gern sein will, zum guten Ton gehört
Mit nachträglicher oder gegenwärtiger Verachtung gestraft werden dann oft auch noch die männlichen Vorfahren, die Patriarchen, die nicht verstehen wollen oder wollten, dass der Mann Feminist sein sollte. Als ob es auch nur einer einzigen Frau, als ob es unseren Töchtern, Frauen, Müttern und Großmüttern irgendwie helfen oder ihnen gegenüber etwas gutmachen würde, wenn wir jene Männer, die meistens auch ihr Leben lang hart für die Familie geschuftet haben, jetzt öffentlich gering schätzen, um uns von ihnen abzusetzen."