Das, was Sie gleich zu lesen bekommen, ist nichts für empfindsame Gemüter. Aber wir müssen da jetzt gemeinsam durch. Also, Joko und Klaas, zwei TV-Unterhalter, haben eine Wette laufen. Will Joko nicht verlieren, muss er irgendeiner Frau vor laufender Kamera an die Brüste und den Hintern fassen. "Hallo", sagt er und nähert sich der Ahnungslosen. "Das wird jetzt wahnsinnig unangenehm für beide von uns."
Er liegt falsch. Für ihn ist es unangenehm. Für sie – verletzend und herabsetzend. Die Kamera zoomt auf ihr entsetztes Gesicht. Kumpel Klaas legt nach: "Die stand da wirklich und hat sich richtig entwürdigt gefühlt. Die fährt jetzt gleich nach Hause und dann wird die erst mal schön heulen unter der Dusche, die steht dann sechs Stunden unter der Dusche!"
Warum mit dieser acht Jahre alten Sache anfangen anstatt mit dem Aktuellen? Am Mittwochabend haben Joko und Klaas bei Pro7 15 Minuten Sendezeit für Frauen freigeräumt, für die
Männerwelten: Es ist eine eindrückliche, wichtige Mini-Sendung über sexuelle Belästigungen, die Frauen widerfahren.
TV-Moderatorin Palina Rojinski stellt eine umfassende Bildersammlung von Penissen aus, die sie und ihre Freundinnen von fremden Männern zugeschickt bekommen haben. Andere lesen aus Chats vor, in denen Männer viel davon schreiben, wie sie Frauen "ficken" wollen und am Ende die Frauen als Huren beschimpfen. Eine Frau erzählt, wie ein Taxifahrer ihr die Hand auf die Oberschenkel gelegt und die Autotüren verschlossen hat. Eine andere, wie zwei Männer im Fahrstuhl sie bedrängten und in den Schritt fassten.
Übergriffe als Unterhaltung
Gerade deshalb muss man an Joko und Klaas' Übergriff auf die junge Frau erinnern
, für den sie sich später allerdings entschuldigt haben: Weil selbst jene, die heute die Guten geben, nicht immer die Guten waren. Weil sexuelle Übergriffe als TV-Unterhaltung nicht verstaubtes Fernsehprogramm aus den 50ern sind, sondern ziemlich aktuell. Weil das Berliner Landgericht im vergangenen Jahr noch befand, dass es in Ordnung gehe, die Politikerin Renate Künast als "Drecksfotze" und "Schlampe" zu bezeichnen, die entsorgt gehöre –
das Urteil wurde immerhin später kassiert. Weil jede, die sich bei Twitter dagegen wehrt, als Propagandahure oder Nutte beschimpft zu werden, Pech hat: Twitter sieht da keinen Verstoß. Kurzum: Weil es eigentlich niemanden in Deutschland überraschen dürfte, wovon Palina Rojinski und die anderen Frauen am Mittwochabend erzählt haben.
Die Faustregel ist: Je exponierter die Frauen, desto mehr Angriffe. Und je auffälliger die Frauen, desto heftiger die Attacken. Bei sexualisierten Angriffen geht es nicht um Sex, sondern um Macht. Sie wirken besonders perfide: Nicht der Täter schämt sich, sondern das Opfer. In der Regel die Frau. Sicher, auch Männer sind davor nicht gefeit – aber es trifft sie sehr viel seltener. Frauen hingegen:
Fast die Hälfte aller Frauen hat schon einmal sexuelle Belästigung erfahren. Jede dritte erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt, heißt es in einem Papier des Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen. Auch im Netz seien Frauen überproportional von unterschiedlicher Gewalt betroffen.
Ich musste an die finnische Journalistin Jessikka Aro denken. Aro hatte über russische Einflussnahme und Trollfabriken in Sankt Petersburg publiziert.
Daraufhin wurde eine massive Kampagne online gegen sie gestartet. Sie erhielt Morddrohungen, Beleidigungen, Schmähungen, Vergewaltigungswünsche, Anrufe, E-Mails, Chatnachrichten. Ihre Krankenakte wurde veröffentlicht. Textnachrichten im Namen ihres Vaters erreichten sie – der aber war vor Jahren gestorben. Als ich sie vor einigen Jahren in Helsinki traf und wir uns über ihren Laptop beugten, poppten immer noch Beleidigungen auf dem Schirm auf, die ihr gerade jemand bei Facebook geschickt hatte.
Aro hat Anzeige erstattet, ihre Geschichte wurde zum Präzedenzfall in Finnland, ihr Arbeitgeber, der Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Yle, hat sie unterstützt. Damals sagte er mir, dass die unterschiedlichsten Themen plötzlich heftige Hasswellen bei den Zuschauern auslösen konnten: Klima, vegetarisches Essen, Russland, Feminismus. Die einzige Gemeinsamkeit: Es traf immer Frauen. Immerhin: Im Falle Aro nahm die Polizei die Ermittlungen ernst. Drei Personen wurden verurteilt.
Widerliche Leserbriefe
Vor einigen Jahren, noch bevor ich über den Krieg in der Ostukraine oder Russland zu schreiben begann und selbst gelegentlich zur Zielscheibe wurde, hatte ich mein Büro neben dem von Özlem Topçu. Manchmal las sie mir die Leserbriefe vor, die sie erreichten, wenn sie wieder einen Leitartikel geschrieben hatte. Von Professoren, die stets ihren Titel nannten, sie siezten – und im Folgenden empfahlen, nach Anatolien zurückzukehren. Briefe, die im Ton höflich waren, aber in der Sache rassistisch und infam. Schreiben, die ihr ankündigten, man werde in der "Nacht der langen Messer" schon noch mit ihr abrechnen, leitete sie die direkt an die Anwälte weiter. Ohne Erfolg. Eine "alternative" Internetseite zeigte ihr Foto mit der Überschrift: "Deine Vagina gehört allen." Natürlich nicht justiziabel. Es war widerlich. Es war normal. Es schien dennoch irgendwie erträglich – es waren immerhin nur Worte, keine Taten.
Irgendwann lud mich Özlem zu
Hate Poetry ein. Deutsche Journalisten und Journalistinnen, die arabische und türkische Namen trugen, lasen vor Publikum die irrsten Leserbriefe vor, die sie erreichten. Es war fantastisch und ungeheuer befreiend, sich die Deutungshoheit und die Macht über die Kränkungen zurückzuholen. Ich habe damals Tränen gelacht, neben mir rutschte jemand aus seinem Sitz, weil ihn sein Lachen so schüttelte. Auf einmal offenbarte sich die ganze Erbärmlichkeit und Lächerlichkeit dieser Schreibtischtäter, die sich in langen Briefen und E-Mails darüber ausließen, wer Kamele ficken solle und wer durchgefickt gehöre. Deshalb ist auch die Sendung
Männerwelten so wichtig: Die Frauen schicken den ganzen Dreck zurück, vor einem gigantischen Publikum.
Die Übergriffe, von denen die Frauen erzählt haben, wie sie im Taxi oder im Fahrstuhl bedrängt, angefasst wurden, ist natürlich eine ganz andere, eine fürchterliche Erfahrung, die angezeigt werden muss. Aber es tat gut zu sehen, wie sich Journalistinnen und Journalisten gemeinsam gegen Worte zu Wehr setzten, gegen die Anzeigen nicht verfangen. Wie sie zusammenstehen und sich mit dem Publikum verbünden. Es gehe darum, die Scheiße in die Umlaufbahn zurückzuschießen, sagte mein Kollege Yassin Musharbash damals. Er hatte so recht. Diese Methode stärkt, sie tröstet. Doch es gibt ein Problem: Sie schafft die Beleidigungen und Schmähungen nicht aus der Welt. Die Umlaufbahn ist derzeit reichlich zugeschissen.
5 vor 8, Alice Bota