Die Exfrau meines Exschwagers habe ich geliebt. Und ihre Kinder. In der Reihenfolge. Und sie nicht mehr den Vater ihrer Kinder. Dann sind wir zusammengekommen, und weil ich wollte, dass es weiter einen vernünftigen Kontakt zu der Mutter der Enkelinnen und Nichten gibt, habe ich dafür die Verantwortung übernommen. Größenwahnsinnig? Vielleicht. Was hätte ich denn machen sollen, sagen: Wir beiden waren miteinander im Bett - und hatten endlich mal Spaß dabei? Hätte ich sagen sollen, dass wir uns gegenseitig Aufmerksamkeit und Interesse aneinander geschenkt hatten - wozu unsere Ehepartner nicht mehr in der Lage waren? Eigentlich war es auch mehr notgedrungen, weil mich meine damalige Frau zur Rede gestellt hatte und ich mich dazu verpflichtet fühlte, ihr die Wahrheit zu sagen. "Das erzähle ich meinem Bruder." - "Wenn es ihm einer erzählt, dann bin ich das." Ich hatte fünf Minuten Zeit für etwas, das uns alle überforderte - und hatte dabei die ganze Zeit ein Gesicht vor Augen, das mir gerade noch liebevoll vertraute und sich nach meinen Zärtlichkeiten sehnte um dann doch von mir verraten zu werden. Grau, versteinert, voller Hass.
Bei meiner Exfrau habe ich mich nur wohlgefühlt. Das kann ich heute sagen. Ihr hatte ich aber etwas versprochen, was ich nicht gehalten habe, halten konnte. Als ich mich das erste Mal, gut zehn Jahre vorher, verliebt hatte, ist mir irgendwann schließlich klargeworden, dass mir etwas in der Ehe fehlte. Je länger ich aber suchte, desto drohender wurde das Wort: Was Gott verbunden hat..... Meine Eltern als Vorbild, ihre Eltern als Vorbild. Ein Teufelskreis, in dem ich dieses Wort so mächtig werden ließ, dass ich eines Abends fest entschlossen war, nicht mehr nach Hause zu fahren, nirgends mehr hinzufahren. Sondern nur noch gegen den Brückenpfeiler, den ich mir schon lange ausgesucht hatte.
Irgendwie bin ich trotzdem nach Hause gekommen. An dem Abend hatte es aber bei mir geklickt, und ich war endlich so weit, dass ich an meiner Ehe nicht festhalten muss, dass "selbst ich" leben darf. Dass dieses Recht größer ist als die möglichst lange Dauer einer Ehe. Ich wollte an meiner Ehe nicht mehr festhalten müssen, ich wollte herausfinden, ob ich festhalten will - jetzt, nachdem der ganz große Druck weg war. Stattdessen bin ich an dem Abend mit der Exfrau meines Exschwagers in Kontakt gekommen. Ein dreiviertel Jahr waren wir locker im Kontakt, Schneeballschlachten mit den Kindern im Winter, Wasserbomben im Sommer. Drei weitere Monate hatten wir versucht, Abstand voneinander zu halten und sind uns doch immer näher gekommen. Und unsere Ehepartner? Sie kamen von der Arbeit, waren müde und hatten selten Lust, bei irgendetwas mitzumachen. Ich weiß nicht, welche Signale wir ausgesendet haben, aber wir waren enttäuscht, dass sie nicht mitmachten. Der Wurm war drin, und keiner wollte es noch so richtig wahrhaben.
Ein Jahr lang habe ich schließlich mit der Frau und ihren Kindern zusammengelebt, bis sie sich von mir getrennt hatte. Als Begründung hatte ich von ihr gehört: Ich möchte jemanden finden, den ich so lieben kann wie du mich. Eigentlich ein sehr schönes Kompliment, mir hat’s den Boden unter den Füßen weggezogen, denn es gab noch einen Nachsatz: Letztlich war’s das schlechte Gewissen, dass wir als Schwager und Schwägerin etwas miteinander angefangen haben. Sie hatte mich mit meinem schlechten Gewissen allein gelassen, den Grund entzogen, warum ich das alles auf mich genommen hatte. Alle sollten es ganz schnell wissen, dass wir nicht mehr zusammen sind. Diesmal hatte ich mich verraten gefühlt, diesmal war ich versteinert, geschockt. Ich nahm mein Telefon in die Hand und blätterte die Kontakte durch, eigentlich fast wahllos: Hast du gerade Zeit für mich? Überall fast keine Reaktion.
Nach der Trennung von meiner damaligen Frau hatte ich mich aus der Kirche zurückgezogen um ihr den Raum zu geben, denn sie hatte außerhalb ihrer Familie keine nennenswerten Kontakte. Bis zu unserer Hochzeit war sie in der Gemeinde aktiv gewesen, die Eltern sowieso, dann hatte ich mich nach meinem Studium dort mehr und mehr engagiert, Kontakte geknüpft, 14 Jahre lang, auch weil ich dachte, dass das Engagement ein gemeinsames Hobby war. Trotzdem zog ich mich zurück, weil ich darauf baute, dass mein soziales Netz hielt, ich “meine” Familie hatte – und sie dort Anschluss, Unterstützung finden könnte, wenn ich nicht mehr so präsent war. Nicht gerechnet hatte ich mit der Reaktion: Da hast du dich ganz schön in die Scheiße geritten. Sieh zu.... Dieses “Sieh zu” empfand ich als gnadenlos, ich war beleidigt, ich war wütend, habe diese Wut aber wieder einmal gegen mich gerichtet, weil ich kein anderes Ziel fand, weil das Netzwerk, dem ich vertraut hatte, nicht tragfähig war.
Das ist jetzt eineinhalb Jahre her, heute vor drei Jahren gab’s die erste kleine Berührung zwischen meiner Exfreundin und mir. Pfingstsamstag hatte ich meine Exfrau mit ihrem neuen Lebensgefährten im Dom bei der Priesterweihe meines besten Freundes gesehen: Gutaussehend, vertraut und liebevoll im Umgang miteinander, sie hat den Job gewechselt und ist aus dem Elternhaus ausgezogen. Ich hab mich gefreut für sie. Gleichzeitig kam mir ein Gedanke, der mir richtig gut gefiel. Ich hatte ein Jahr mit einer Frau und ihren Kindern zusammengelebt, wir haben uns auf uns und unsere Ideen gefreut. Dann ist das zu Ende gegangen. Aber ich durfte es ein Jahr lang leben. Ich vermisse die Kinder und ihr Vertrauen in mich, ich werde wütend bei dem Gedanken daran, dass sie der älteren Tochter das von mir “geliehene” Klavier weggenommen hat mit welchen Worten auch immer, weil dieses Klavier mit den gemeinsamen Übungsstunden für uns beide zu etwas Besonderem geworden ist. “Ich werde dir nicht erzählen, was ich meiner Tochter gesagt habe.” Dieser Satz war das Ende der Kommunikation zwischen uns. Es wäre für mich einfacher gewesen, wenn mich die Mutter am Anfang des Chaos’ nicht gefragt hätte: “Kannst du dir vorstellen, dass du dich um die Kinder kümmerst, falls uns als Eltern etwas zustoßen sollte? Ich möchte die Großeltern streichen und dich eintragen lassen.” Warum hatte sie mich als “Außenstehenden” gefragt, sollte ich hinsehen? Oder wollte ich nur hinsehen sollen? Und es führt doch zu nichts, weiter darüber nachzudenken.
Von einem befreundeten Priester und Rettungssanitäter habe ich ein schönes Gebet gelernt, dass er vor jedem Einsatz als Notfallseelsorger oder als Beerdigungsleiter vor einer Trauerbegleitung spricht: Herr, mache mich zu einem Werkzeug deiner Liebe. Für mich heißt das nichts anderes, als sich selbst zurücknehmen, sich zu öffnen um für den anderen da zu sein, um auszuhalten, zu schweigen oder zu reden oder sich gemeinsam auf die Suche nach einer Lösung zu begeben, was halt gerade erforderlich ist. Das konnte ich mal ziemlich gut, genauso wie ich auch mal ziemlich gut hinsehen konnte, weil ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen konnte, dass jetzt beleidigt und verletzt in der Ecke sitzt und einfach nur geliebt werden möchte, einfach nur genügen möchte. Offenbar habe ich mich zu oft zurückgenommen, habe mich selbst zu sehr geöffnet und mich dadurch angreifbar und verletzlich gemacht. Jetzt merke ich, dass ich zu oft überdrehe, zu kompliziert, zu fordernd werde in dem vermeintlichen Wissen: es reicht nicht, was ich anzubieten habe. So werde ich auch nicht wirklich wahrgenommen werden.
Ich stelle nur fest, dass ich selbst wesentlich konsequenter Grenzen setzen muss – anderen gegenüber. Ich möchte lernen, dass ich mir nicht jeden Schuh anziehen muss, der mir vor die Füße gestellt wird – und weiß noch nicht wie. Ich möchte die Balance finden zwischen offen sein und Grenzen setzen – und weiß noch nicht wie. Ich möchte meinen Platz finden – und weiß noch nicht wo. Ich möchte lernen zu akzeptieren, dass mir parship die Möglichkeit bietet, irgendwo eine kleine, nette Familie kennenzulernen, die sich auf mich und meine Ideen freut – die Suche danach aber auch ins Leere führen kann. Oder ganz woanders hin. Dafür möchte ich offen werden, dazu werde ich Hilfe brauchen.
Nüchtern betrachtet hatten vier mehr oder weniger erwachsene Menschen in ihren Ehen das Gefühl, nicht mehr am richtigen Platz zu sein; zwei konnten nicht damit umgehen und haben sich zurückgezogen, zwei andere konnten damit auch nicht umgehen und haben sich gegenseitig das gegeben, was ihnen in ihren Ehen fehlte. Erschwerend kamen die Kinder dazu, die unter diesen Spannungen litten, ganz besonders die damals Zehnjährige.