Liebe Yin
Du bist herzlich willkommen am Lagerfeuer.
Ich habe sie auch immer noch ab und zu, diese schlimmen, schwierigen Tage. Aber sie werden seltener und ich spüre, dass es für mich wichtig war und ist, gerade diese Tage, wo einen etwas belastet, wo man traurig und ängstlich oder gar verzweifelt ist, gut zu leben. Die Gefühle sind einfach, wie sie sind, und das kann man nicht ändern. Und vielleicht sollte man das auch gar nicht ändern wollen.
Aber man kann versuchen, die Gefühle und die Geschichten, die man erlebt oder in denen man drin steckt, wie Theaterstücke auf der Bühne des eigenen Selbst zu verstehen. Diese Gefühle und Geschichten sind wichtig für dich, aber sie machen dich nicht aus. Du bist die Person dahinter, das Bewusstsein, das all das beobachten und reflektieren kann. Das hilft einem, gelassener zu werden. Jedes Theaterstück geht irgendwann zu Ende, und jeder Schauspieler lernt irgendwann eine neue Rolle.
Und die Erfahrung, dass diese Tage vorbei gehen, und vielleicht noch stärker sogar die tiefe Erfahrung, dass sie einem helfen können, näher zu sich selbst zu finden, stärkt. Daraus wächst mein immer grösser werdendes Vertrauen ins Leben.
Es stimmt für mich nicht mehr, mir selbst zu vertrauen, weil ich auch schon in meine Abgründe geblickt habe, weil ich weiss, dass ich manchmal Falsches tue, ob absichtlich oder nicht. Ich bin ein Mensch, und Menschen machen Fehler. Doch ich habe gelernt, dass das Leben mir immer das brachte, was ich brauchte, manchmal brauchte ich jedoch lange, um es zu sehen und dankbar anzunehmen. Manchmal sehe ich es auch jetzt nicht. Aber mit der Lebenserfahrung wächst auch meine Fähigkeit, zu erkennen, was wirklich wichtig ist, und was nicht. Und damit werden auch die Tage immer mehr, wo ich ganz lebensfroh und heiter bin, und wo ich manchmal sogar ein gutes Gespür dafür entwickle, was andere Menschen in genau diesem Moment von mir brauchen könnten.
Wenn ich sage: dem Leben vertrauen, dann könnte jemand anders vielleicht auch sagen: Gott vertrauen, Allah vertrauen. Oder man könnte von Verbundenheit sprechen, von Liebe. Für mich kommt es nicht auf die Wortwahl an. Aber ich habe ein Gefühl tief in mir, dass wir Menschen irgendwo aufgehoben sind. Damit ist auch das Gefühl, als kleiner Mensch demütig sein zu wollen, verknüpft.
Liebe Yin, schau gut zu dir! Wenn du traurig bist, kannst du auch versuchen, dich selbst zu trösten, indem du dich und dein Leben aus einem liebevollen und mitfühlenden Blickwinkel heraus betrachtest. Vielleicht spürst du dann, was du brauchst, und wenn es Worte sind, dann kannst du sie dir selbst sagen, und wenn es eine Berührung ist, dann halte dir die Hand oder streichle dich selbst. Und dann wünsche ich dir von ganzem Herzen, dass du auch andere Menschen finden, die ebenso mit dir umgehen.
Ich wünsche dir, dass das Lagerfeuer dich wärmt. Ich gehe jetzt noch etwas in den Wald, das tut mir immer sehr gut. Und ich kann ja gleich noch ein wenig Holz sammeln fürs Feuer.
