Ständige Erreichbarkeit, mehr Arbeit, mehr Zeitdruck [...] weniger Abschalten, soziale Isolierung, weniger Familien- und Paarzeit, höhere Kosten (welcher Arbeitgeber zahlt denn die größere Wohnung wegen eines Büros?).
Danke für deinen Beitrag. Man sieht darin deutlich, wo die Problematik liegt. Flexibilität und bessere Arbeitsbedingungen heißt nicht, dass man ständig und immer erreichbar ist. Das sind Fehlvorstellungen, die sich in vielen Köpfen gebildet haben.
Die Argumente "weniger Familienzeit" und "höhere Kosten" oder auch die "soziale Isolierung" kann ich nicht so ganz nachvollziehen.
Ich schrieb von Modellen, die z.B. in Finnland sehr gut funktionieren. Dort hat sich die "Familienzeit" verbessert.
Die "soziale Isolation", wie man sie vermeintlich im Homeoffice zu finden glaubt, muss in der Form nicht stattfinden, gerade auch, weil das "Netzwerken" ja sehr nativ ist bei den jüngeren Generationen. Wenn jemand während Corona im Homeoffice sich sozial isoliert gefühlt hat, dann vielleicht auch, weil es ungewohnt war und eine neue Situation erstmal gestaltet werden muss.
Die Allermeisten haben die Freiheiten so wie so nicht, weil sie für ihren Job vor Ort sein müssen.
Oder willst Du Pflege, Handwerk, usw. auch alles digitalisieren?
Was für ne Frage. xD
Natürlich kann man diese Berufe nicht in diesem Sinne digitalisieren.
Das Handwerk ist ein Bereich, der in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig Wertschätzung erhalten hat. Es ist ja leider wie bei fast allem: Erst wenn es etwas nicht mehr gibt, wird es plötzlich wertgeschätzt und vermisst. Viele Handwerksberufe sterben langsam vor sich hin. Zum Beispiel der Raumausstatter. Ein Ikea-Sofa wird nicht neu aufgepolstert und neu bezogen, weil diese Arbeit den Wert des Sofas übersteigen würde. Um die Arbeitsbedingungen im Handwerk zu verbessern, müsste u.a. die Gesellschaft wieder dazu bereit sein, Geld für Qualität auszugeben. Und das ist leichter gesagt, als getan. Der Überfluss in den Geschäften, die billige China-Ware und Kleidung Made in Taiwan sind dabei nur ein Faktor. Vorallem fehlt es an entsprechenden Kennzeichnungen. Der Markt sie unübersichtlich und wenig transparent. Nur wer sich informiert - und auch erstmal die Zeit dafür findet - kann hier bewusstere Entscheidungen treffen. Der "Zeitfaktor" geht also auch Hand in Hand mit der Work-Life-Balance und einem Leben bevorzugt mit Qualitätsprodukten.
Die Menschen haben oft keine Zeit und auch keine Lust mehr, sich mit Produkten länger zu beschäftigen vor dem Kauf.
Zum Beispiel wissen nur wenige, dass Technisat der letzte deutsche TV Hersteller ist. Und das zu einem unfassbar gutem Preis-Leistung-Verhältnis. Oder Severin - ein deutscher Hersteller von Haushaltsgeräten. Severin findet man häufig im günstigen Preissegment. Viele kaufen lieber (weil unwissend) überteuerte Importware.
Die Menschen gehen nicht mehr zum Schuster, weil sie ihre (Plastik)Schuhe billig bei Deichmann gekauft haben. [hier Liste ergänzen].
Was ich damit sagen will: Viele Jüngere sind davon genervt. Die Sehnsucht nach Produkten, die Qualität haben und eine gute Lebensdauer, wird immer größer. Manchen ist dabei die ökologische Nachhaltigkeit wichtig, anderen einfach nur die Qualität. Kochlöffel bestehen nicht mehr aus Plastik, sondern aus Olivenholz. Und weniger ist mehr! Niemand will sich heutzutage noch sein Haus mit Krimskrams bis oben hin vollstellen - schon gar nicht mit Plastik-Zeugs.
Mit ein bisschen Glück, reguliert sich der Markt von selbst in den nächsten Jahrzehnten. Sofern das Prinzip "Die Nachfrage regelt das Angebot" einigermaßen funktioniert.
Das Handwerk und auch die Pflegeberufe müssen vorallem aus dem gesellschaftlichen Kontext wieder mehr Wertschätzung erhalten. Durch ein Miteinander, den Austausch und Hilfe - und auch die Bereitschaft wieder angemessen für Qualität zu zahlen - kann hier viel gewonnen werden.
Edit: Kennst du "Momo" von Michael Ende? Die grauen Herren, die fortwährend ihre Zigarren rauchen, die aus der Lebenszeit (Stundenblume) der Menschen bestehen? Im Laufe der Geschichte verliert Momo ihre wichtigsten Freunde. Sie alle sind damit beschäftigt, Geld zu verdienen, in der Hoffnung, sich dadurch Zeit zu kaufen. Sie haben ein "Zeitkonto" bei der "Zeitsparkasse".
Für mich zählt Momo zu den größten Kindergeschichten, die je geschrieben wurden. Selbst kleine Kinder verstehen sehr nativ den Inhalt. Und nur weil Momo klein ist, ein Kind, unglaublich naiv - heißt es nicht, dass sie im Unrecht ist oder ihre Ansichten falsch. Die "Zeitsparkasse" (das Leben bis zur Rente aufschieben) versteht sie nicht. Sie stellt nur fest, dass niemand mehr glücklich ist und ihre Freunde immer weniger Zeit haben, immer fahlere Gesichter bekommen und nur noch selten lachen.
Deine Bedenken verstehe ich, aber sie sind wie die Argumente der "grauen Herren", die die Menschen um ihre Lebenszeit und ihre Zufriedenheit bringen.
Die Generation y wird auch Generation why genannt. Sie stellen Fragen - manchmal auch unangenehme. Nichts anderes macht Momo in ihrer Geschichte. Sie hinterfragt die "Zeitsparkasse".