Lieber
@IMHO die Weltschmerz- Asche-auf-mein-Haupt-Phase haben die meisten so mit Ende zwanzig abgeschlossen. Was ist bei dir schief gelaufen?
Hm, ich wusste nicht, dass das eine Phase ist, die irgendwann einmal im Leben abgeschlossen wird/sein sollte. Die Welt verändert sich, in letzter Zeit mit einer erheblichen Dynamik. Manch einer ignoriert das, andere betrachten bestimmte Entwicklungen mit Sorge. Ich halte das für einen natürlichen Prozess, der selbstverständlich Schwankungen unterliegt.
Ich halte es für unnatürlich, 90% des Tages (und zu 100% in der Öffentlichkeit) eine "aufgesetzte Fröhlichkeit zur Schau zu tragen", die nicht der wahren Stimmung des Herzens/Gemütes entspricht, nur, weil es der Umwelt besser gefällt - oder man sich davon ein leichteres Miteinander verspricht (was, ohne Frage, auch tatsächlich funktioniert).
Ich glaube, diese Entwicklung ist auch ein Indiz für den überwältigenden Erfolg dieser "Tschacka-Ich-Schaff-Das" - Seminare). Motto: "Ich muss mich nur oft und lange genug vor den Spiegel stellen und die vermeintlichen Erfolgs-/Leitsätze wie ein Mantra herunterbeten - und schon stellen sich die Erfolge von alleine ein".
Ich befürchte, dass man sich häufig genug nicht mit zu erwartenden Rückschlägen oder anderen negativen Einflussfaktoren auseinandersetzt und bei deren Eintreten schlichtweg überfordert sein könnte. Ich kenne genügend Frauen, die tagsüber die toughe, allen Lebenslagen gewachsene
"Powerwoman" darstellen, die selbstverständlich auch ohne Partner "total zufrieden ist" - und abends in ihre Kissen heulen.
Stärke, Dynamik, Freude, Positivität sind die Leitworte unserer Kultur geworden. Für Schwächere ist nicht mehr so viel Platz in der Leistungsgesellschaft. Es sei denn, man kokettiert mit den vermeintlichen "Unzulänglichkeiten" und macht sich z.B. mit Lebensmittelunverträglichkeiten oder Depressionen (tatsächlich Betroffene mögen mir an dieser Stelle verzeihen) interessant.
Ich plädiere für mehr "Gefühls-/Gemütsehrlichkeit", nicht nur anderen, sondern vor allem sich selbst gegenüber. Die Selbstindoktrination z.B. "Ach, was bin ich glücklich", nur um in der heutigen Spaß-Gesellschaft eine opportune Verhaltensweise an den Tag zu legen und eben nicht aus der Rolle zu fallen, halte ich für eine Art "Selbsbetrug", dient diese doch nur dazu, im Strom mitzuschwimmen, nicht unangenehm aufzufallen und sich selbst oft genug eine Zufriedenheit zu suggerieren, die eben nicht im Grund des Herzens vorhanden ist.