AW: Dialektsprecher und Lehrer - wer traut sich, sich zu "outen"?
Hallo Heike,
ach, was du nicht alles aus dem schließt, was ich hier schreibe... Dass du sogar daraus, dass ich deine Einzigartigkeit (und jeder Mensch ist einzigartig) betone, schließt, dass ich Vorurteile als erstrebenswert empfinde, ist schon sehr schwer für mich nachvollziehbar.
Glaubst du wirklich, ich würde es gut finden, wenn ich immer schon vorher wüsste, was jeder andere hier im Forum schreibt? Ich würde das verdammt langweilig finden.
Übrigens ist nicht jede Erwartungshaltung ein Vorurteil.
Ein Bäcker hat gelernt, Brot zu backen. Deshalb kann man von einem Bäcker erwarten, dass er Brot backen kann. Kann ein Bäcker kein Brot backen, werden andere Bäcker und auch viele andere Menschen ihn nicht als Bäcker akzeptieren. Kaum jemand würde behaupten, dass ein Bäcker, der an seinem Arbeitsplatz kein Brot (mehr) backt, sondern z.B. Brezen dreht, deshalb kein Bäcker mehr ist, solange er ein Brot backen KÖNNTE. In den meisten Fällen dürfte ein Bäckerlehrling, der es nicht schafft, ein Brot zu backen, seine Lehre auch nicht erfolgreich abschließen. Außerdem sind alle Menschen, die keine Bäcker sind, bezüglich der Fähigkeit "Brot backen" Laien, was mich und auch jeden, der als Hobby Brot backt, einschließt.
Wer eine Naturwissenschaft studiert hat, hat gelernt, naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen anzuwenden. Deshalb kann man von einem Naturwissenschaftler erwarten, dass er naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen anwenden (also forschen) und auch jederzeit verstehen kann. Kann ein Naturwissenschaftler das nicht, würden andere Naturwissenschaftler und auch viele andere Menschen ihn nicht als Naturwissenschaftler akzeptieren. Man sollte erwarten, dass kaum jemand behaupten würde, dass ein Naturwissenschaftler, der an seinem Arbeitsplatz nicht (mehr) forscht, deshalb kein Naturwissenschaftler mehr ist, solange er forschen KÖNNNTE. Ein Student einer Naturwissenschaft, der zu naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen nicht fähig ist, wird sein Studium wohl kaum erfolgreich beenden. Bezüglich der Eigenschaft, naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen anzuwenden, sind alle Menschen, die keine Naturwissenschaftler sind, Laien, auch dann, wenn sie sich diese Fähigkeiten auf anderem Wege erworben haben oder sogar etwas in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert haben. Dabei muss ich noch ganz klar betonen, dass Laien, die das schaffen, bei den studierten Naturwissenschaftlern (und damit auch mir) höchstes Ansehen genießen, da ihre Leistung natürlich höher zu werten ist.
Jetzt kann man mir an dieser Stelle auch wieder Vorurteile nachsagen. Aber zu diesem Punkt stehe ich. Ich bewundere auch einen Hobbyorganisten, der alle Orgelwerke von Bach spielen kann, viel mehr als einen studierten Organisten, der das auch kann, denn der studierte Organist hat Jahre lang nichts anderes gemacht als Orgel spielen und sollte das daher können.
Also, zu erwarten, dass jemand, der etwas gelernt hat, das auch kann und jemand, der es nicht gelernt hat, vielleicht nicht (so gut), kann man beim besten Willen nicht als Vorurteil werten. Sonst wäre es auch ein Vorurteil, zu erwarten, dass man beim Metzger Fleisch und Wurst bekommt und keine Radios kaufen kann.
Ich gebe zu, dass ich diesen Text jetzt wirklich etwas "oberlehrerhaft" geschrieben habe. Ich glaube aber, dass damit meine Kernaussagen klarer verständlich werden.
Viele Grüße
Ein Baier